Wir haben im Oktober 2022 mit Barbara Breuer von der Berliner Stadtmisson gesprochen, um zu erfahren vor welchen Herausforderungen soziale Trägerorganisationen stehen, die sich um obdachlose Menschen kümmern. Die Krise macht auch vor den Kleiderkammern nicht halt, die dringend auf Spenden angewiesen sind. Insgesamt steigen Energie- und Logistikkosten und machen das Bereitstellen von Hilfsangeboten nicht einfacher. Entsprechend haben wir in diesem Jahr unsere Aktion "Lasst uns Wärme nähen" angepasst.
Lebenskleidung: In den vergangenen beiden Jahren war Ihre Arbeit für die schwächsten Menschen unserer Gesellschaft vor allem durch die Corona-Pandemie geprägt. Wie wirken sich die derzeitigen Krisen, vor allem im Energiesektor, auf die Arbeit der Berliner Stadtmission aus?
Barbara Breuer: Wir als Berliner Stadtmission gehen besorgt in den kommenden Winter. Die Auswirkungen der hohen Mehrkosten für Strom und Gas auf bedürftige Menschen und auch auf soziale Einrichtungen sind nur schwer abschätzbar. Mussten wir in den vergangenen Jahren rund 15 Euro für die Logistik bezahlen, um einen bedürftigen Menschen in unserer Kleiderkammer einkleiden zu können, erwarten wir, dass dies jetzt durch die höheren Benzinkosten auch teurer wird. In einigen unserer Einrichtungen rechnen wir im kommenden Jahr mit Mehrkosten von rund 30 Prozent für Gas und Strom. Trotzdem hoffen wir, dass wir auch weiterhin alle Angebote für bedürftige Menschen aufrechterhalten können.
Lebenskleidung: Was bedeutet es im Jahr 2022 obdachlos zu sein? Vor welchen Herausforderungen stehen Menschen ohne Dach über dem Kopf in Berlin?
Barbara Breuer: Wer keine eigene Wohnung hat, muss aktuell mit großen Einschränkungen für sein Leben rechnen. In der Kleiderkammer sind die Regale leer. Vor ein paar Wochen kamen 170 Menschen, um sich Kleidung abzuholen. 120 konnten wir versorgen. 50 mussten wir ohne frische Anziehsachen wegschicken. Auch gibt es in Berlin aktuell keine Quarantänestation für Menschen ohne Obdach. Wenn wir in unserer Notübernachtung Menschen positiv testen, müssen wir sie leider wegschicken, weil wir keine separaten Räume für die Infizierten haben. Die Erkrankten müssen dann irgendwo unter freiem Himmel schlafen. Und weil wir aktuell nicht ausreichend Schlafsäcke haben, können wir ihnen oft nicht einmal den mitgeben. Das ist für die Bedürftigen schrecklich und für die Mitarbeitenden sehr traurig. Gemeinden wie in der Frankfurter Allee planen ihre Räumlichkeiten für Menschen zu öffnen, die es sich nicht mehr leisten können, zuhause zu heizen.
Lebenskleidung: Kann man die Arbeit der Berliner Stadtmission in Zahlen ausdrücken? Wie vielen Menschen wird in Berlin täglich geholfen?
Barbara Breuer: Wir als evangelischer Verein haben mehr als 90 Projekte in denen wir uns für Menschen engagieren, die Unterstützung benötigen. Am Bahnhof Zoologischer Garten versorgen wir mehr als 600 Menschen täglich mit Lebensmitteln. Etwa 100 Gäste besuchen durchschnittlich montags bis freitags unsere Kleiderkammer, um sich frische Anziehsachen abzuholen. Und im Winter bieten wir rund 400 Menschen in der Nacht Schutz vor eisigen Temperaturen und einen Platz zum Schlafen in unseren Notunterkünften an. Unsere vier Kältebusse fahren von November bis März nachts umher und suchen Menschen auf der Straße auf, um sie in die Notunterkünfte zu fahren oder mit Schlafsäcken und wärmenden Getränken zu versorgen.
Lebenskleidung: Was kann man als Bürger dieses Landes tun, um obdachlose Menschen zu unterstützen? Wie kann man helfen?
Barbara Breuer: Vereine wie die Berliner Stadtmission freuen sich über jede Art von Hilfe: Menschen können uns ihre Zeit spenden, indem sie beispielsweise die Kältebusse durch die Stadt steuern oder in den Notunterkünften Essen ausgeben. Wer gut erhaltene und gewaschene Herrenkleidung, Sneaker oder Schlafsäcke hat, kann diese an uns spenden. Wir geben sie dann an Bedürftige weiter. Was wir genau brauchen, steht auf unserer Homepage unter www.berliner-stadtmission.de/sachspenden.
Begegnet man einem obdachlosen Menschen in den kommenden Monaten bei Eiseskälte nachts auf den Straßen Berlins, kann man sich erkundigen, ob Hilfe benötigt wird und wenn gewünscht, den Kältebus der Berliner Stadtmission unter 030 690 333 690 rufen – im Notfall bitte aber immer die Feuerwehr.
Lebenskleidung: Welche Dinge und welche Art von Spenden benötigt die Berliner Stadtmission derzeit am dringendsten?
Barbara Breuer: Ehrlich gesagt, freuen wir uns zurzeit am meisten über Geldspenden. Die können wir dann schnell und unbürokratisch dort verwenden, wo wir Engpässe haben – beispielsweise um Brot für die Notunterkünfte, Schlafsäcke für die Kleiderkammer oder Sprit für die mobile Straßenambulanz zu kaufen. Dies hilft uns sehr, um bestehende Angebote weiterführen und mit neuen auf die aktuellen Krisen reagieren zu können. Spenden kann man uns ganz einfach online über: www.berliner-stadtmission.de/spenden oder direkt an unser Spendenkonto: DE63 1002 0500 0003 1555 00 mit dem Stichwort: Lebenskleidung22.
Lebenskleidung: Welche Anmerkungen oder Informationen wären Euch darüber hinaus wichtig mitzuteilen?
Barbara Breuer: Es wäre schön, wenn der kommende Winter ein Winter der Solidarität wird. Wenn die Menschen, die es sich leisten können, ein wenig dazu beitragen, weniger Wohlhabenden das Leben leichter zu machen. Einander wahrzunehmen, den Mitmenschen auf Augenhöhe zu begegnen, jemandem, der auf der Straße lebt, ein freundliches Wort, einen heißen Kaffee oder zehn Euro zu schenken, das sind kleine Gesten, die schon viel bewirken.
Herzlichen Dank!